Spannende Wochen liegen hinter uns: Black Metal trägt wieder Seitenscheitel und Undercut, Deafheaven sind zurück mit New Bermuda. Run the Jewels veröffentlichen ihr mittels Crowdfunding finanziertes Meow The Jewels, ein Remix-Album mit Beats produziert ausschliesslich auf Basis von Katzengeräuschen und Dad-Rock’s finest Folk-Troubadour Ryan Adams veröffentlicht eine ganzheitliche Neuinterpretation von Taylor Swifts letztjährigem Überalbum 1989. Tönt alles wild? Ist wild. Mindestens aus konzeptueller Perspektive. Aber auch aus musikalischer. Und sowieso. Spielt aber keine Rolle, es ist auf jeden Fall nicht langweilig. Vielmehr aufregend! Ja, ganz entzückend! Gottseidank leben wir in Zeiten, in denen jeder alles mögen darf!
Worum es hier aber eigentlich geht, ist Doe Paoro, eine in Los Angeles ansässige Singer-Songwriterin, die soeben ihr zweites Album After veröffentlicht hat und, so scheint es, ebenfalls allen möglichen Stilrichtungen zugetan ist. Zu diesem Schluss muss man zumindest kommen, wenn man ihre neuste LP seziert und dabei auf allerhand Einflüsse stösst, die von 90er Jahre Dance-Pop über zeitgenössischen R&B der Schule How to Dress Well bis Post-Dubstep James Blake’scher Handschrift reichen. Wurde ihr Erstlingswerk Slow to Love noch ganz in Tradition von Akron/Family oder Bon Iver’s For Emma, Forever Ago in Abgeschiedenheit und Isolation in einer Waldhütte in Upstate New York geschustert, so entspringt ihr neuestes Werk einem kollaborativen Prozess zahlreicher, illustrer Mitmusiker und Produzenten. In Konsequenz unterscheiden sich die beiden Platten denn nicht unbedeutend voneinander, wobei aber hauptsächlich zwei Dinge eine Brücke schlagen: Justin Vernon (Bon Iver) und die Hütte. Diesmal aber: Justin Vernons Hütte. Präziser: Doe Paoro mit Justin Vernon in dessen Hütte. Noch präziser: Die Beiden gemeinsam mit Sterling Fox (Lana Del Rey, Avicii) und BJ Burton (Sylvan Esso) in Justin Vernons Hütte, auch bekannt als April Base Studios, gelegen in der tiefen Pampa im tiefen Wisconsin. Angesichts dessen, dass wir es hier offensichtlich mit gestandenen Mainstream-Haudegen (Fox) und Grammy-Gewinnern (Vernon) zu haben und der Tatsache, dass sich Doe Paoro das Label neuerdings mit Independent-Schwergewichten wie Neko Case, Calexico oder Wilco teilt (ANTI-), darf es nicht erstaunen, dass auf After die Bässe satter wummern, die Synths wärmer wabern und die Hooks poppiger ausgefallen sind als noch auf ihrem selbstveröffentlichten Debut. Kurzum: Hier ist nicht Nachbars Junior mit Macbook und GarageBand zugange, sondern abgedroschene Studio-Revolverhelden und das ist schwierig zu überhören. Wer jetzt legitimerweise ein aalglattes Pop-Feuerwerk erwartet, der irrt aber trotzdem, zumindest teilweise.
Was tatsächlich geboten wird, ist ein Spiel zwischen Licht und Schatten, Spannung zwischen leisem Lärm und lauter Stille. „Silence can be so loud it’s abrasive!“. Auf fragile low-key Momente seelischer Nacktheit folgen Bombast und Selbstbejahung, auf flotte four-to-the-floor Nummern intime, Grouper-eske Piano-Balladen geladen mit psychischer Entblössung und zerknirschter Selbstreflexion. „I wanted solitude, and that’s what I got/ Now I’m a living island with only one thought/ Maybe I was wrong“. Genregrenzen sind oft höchstens als Silhouetten erkennbar und trotzdem ist das Album in sich kohärent und thematisch geschlossen. „Art Pop!“ möge der eine schreien, „Synthie-Kommerzmucke!“ ein anderer. Der Dritte korrigiert zu „Post-R&B, my friends!“ und was der Vierte meint, ist mir Wurst. Sonia Kreitzer, so Doe Paoros bürgerlicher Name, gelingt das Kunststück über verschiedene Stile hinweg zu operieren, den Hörer aber niemals von der Hand zu verlieren. Es ist deshalb auch ziemlich egal, welchen Stempel der geneigte Schubladisierer der LP aufdrücken will. Eine knappe Dreiviertelstunde Kampf zwischen Loslassen und Nostalgie, oder wie sie selbst sagt: „The record is a meditation on the past but ultimately arrives at the conclusion that it’s futile to dwell and true peace lies in accepting where you are now and working from there.”
Klar, auf allen Hochzeiten tanzen zu wollen ist nicht immer ungefährlich. Bitterernste Gesellen im Bauhaus-Shirt werden bei den den gepitchten Vocals von Nobody gehörig die Nase rümpfen, wie sie es schon damals bei Modern Vampires of the City getan haben und jene, die nach dem schnellen Fix streben, werden während Outlines regelmässig die Swatch am Handgelenk konsultieren. Flexiblere Geschmäcker werden das Album aufregend finden. Geradezu entzückend! Gottseidank leben… Ach, lassen wir das.
STUDIO GDS - Die einzigartige Zürcher Radiosendungs- und Partyreihe geht in die zweite Runde. Jeden Donnerstag wird wieder zu fein selektierten Konzerten und DJ-Sets in den Freitag hineingetanzt und cocktailschlürfend Neues entdeckt. Auf der Tanzfläche im Kauz und on air auf GDS.FM.
Von MJ, Paris.